Hutungen – Fenster zur Vergangenheit

Huteweide

Nur wenige Generationen trennen uns von jener Zeit, als sich die Wälder unserer Region noch in einem gänzlich anderen Erscheinungsbild präsentierten, als wir es heutzutage gewohnt sind. Doch nicht finstere Urwälder und ungezähmte Wildnis prägten das Lebensumfeld unserer Vor­fahren im frühen 19. Jahrhundert, die am Vorabend des aufkommenden Industriezeitalters zum weit überwiegenden Teil noch auf dem Lande lebten – in Kleinstädten, Dörfern und Gehöften. Seit undenklichen Zeiten bedeutendste Existenz- und Einkommensbasis war hier die Landwirt­schaft, dem ein Großteil der Bevölkerung im Haupt- oder zumindest im Nebenerwerb nachging. Das Dasein war nicht selten hart und entbehrungsreich, Ackerbau und Viehzucht oft mühsam.
Allen Kriegen, Seuchen und Hungersnöten zum Trotz hatte die Bevölkerungszahl im Laufe der Jahrhunderte stetig weiter zugenommen, so dass produktiver Boden jeglicher Art längst zu einer knappen Ressource geworden war. Kein Wunder, daß nicht nur jeder verfügbare Quadratmeter genutzt wurde. Wo immer möglich, diente eine Fläche nicht alleine der Erzeugung oder Gewinnung eines einzigen, sondern idealerweise der Deckung gleich mehrerer Bedarfsgüter – ein aus der Not geborenes Leitprinzip, das auch in den damaligen Waldungen gängige Praxis war.

Es begann mit der Wende von der Mittel- zur Jungsteinzeit, die zugleich den Aufbruch in ein grundlegend neues Zeitalter der Menschheitsgeschichte markiert: den Übergang vom unsteten Wildbeuter- und Sammlertum zur systematischen Landbewirtschaftung und zur Seßhaftigkeit.
Hatte der Mensch die von seiner Hand noch weithin unberührten Urwälder bis dahin lediglich genutzt, um hierin für den eigenen Bedarf Wildtiere zu jagen, um Kräuter, Nüsse, Beeren sowie Pilze zu sammeln oder um Feuer-, Bau- und Werkholz zu gewinnen, so erlangten von nun an auch weitere, bislang noch unerschlossene Ressourcenpotentiale des Waldes an Bedeutung. Bald schon ging dieser dazu über, hier seine ersten, noch halbwilden Haustiere – zunächst nur Schweine und Rinder, später auch Schafe und Pferde – einzutreiben und weiden zu lassen. Damit war der Grundstein für eine spezielle Form der Landnutzung gelegt: die Waldweide.

Nicht nur in vielen Teilen Mitteleuropas, sondern auch an anderen Stellen dieser Welt sollte sich hieraus nachfolgend eine viele Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende währende Tradition entwickeln, für die – je nach Region – teils unterschiedlichste Bezeichnungen gebräuchlich sind. Allgemein durchgesetzt als Sammelbegriff für dieses Nutzungssystem haben sich heute jedoch die Termini „Hutung“ oder „Hutewald“ (in synonymer Schreibweise auch „Hudewald“).

Anwendung fand das Konzept der Waldweide bzw. der Baumwiese vornehmlich auf Standorten, die aufgrund ihrer minderen Bodengüte, ungünstigen Geländeform sowie anderer Unwägbarkeiten eine mühevolle Rodung und ackerbauliche Nutzung kaum lohnenswert erscheinen ließen. Dies war zunächst auch gar nicht nötig, standen in den Frühzeiten des Ackerbaus doch hinreichend Optimalstandorte zur Wahl, allen voran die fruchtbaren und leicht bearbeitbaren Löß-, Schwarzerde- und Schwemmlandböden in den klimatisch milden und warmen Flußniederungen. Und selbst hier war die Ackerlandgewinnung mit Hilfe primitiver Steinäxte und Feuer Mühsal genug, die nur dann zu rechtfertigen war, wenn dem nicht unerheblichen Grundaufwand zugleich die reale Aussicht auf einen adäquaten Ernteüberschuß gegenüber stand.

Erforderte die Kultivierung, Bestellung und Beerntung eines Stück Ackerlandes zumindest zeitweise den Einsatz aller faktisch verfügbaren Arbeitskapazitäten, so beschränkte man sich an anderer Stelle im Wesentlichen auf die Ausbeutung dessen, was die Natur quasi gratis lieferte. Dies galt namentlich für die Waldflächen, die aufgrund verschiedenster standörtlicher Nachteile noch auf lange Zeit, wenn nicht gar dauerhaft einer Urbarmachung zu Ackerland widerstanden. So genügte für die Beaufsichtigung des in den Wäldern weidenden Nutzviehs in der Regel eine einzelne Person. Weil diese nicht einmal uneingeschränkt arbeitstauglich sein mußte, wurde die Funktion des Viehhirten nicht selten Invaliden oder sogar Kindern anvertraut, die das Vieh der Dorfgemeinschaft den Tag über hüteten – gegenüber den keineswegs unbeträchtlichen Aufwendungen und Risiken im Ackerbau eine vergleichsweise geringfügige Investition!

Vom Urwald zum Weidewald

Der viele Generationen währende, permanente Verbiss der Knospen, Triebe und Blätter durch das eingetriebene Weidevieh blieb keineswegs ohne Folgen für die Vegetation des Waldes. Weitreichende Auswirkungen hatte vor allem die Dezimierung der jungen Baumkeimlinge und die Beschädigung der nachwachsenden Jungbäume. Durch das Schälen der Rinde wurden selbst noch Bäume stärkerer Dimensionen in Mitleidenschaft gezogen, vorzugsweise Nebenbaumarten mit vergleichsweise dünner Borke wie die Elsbeere, der Speierling oder die Linden. Gerade diese ohnehin nicht häufigen Baumarten gerieten so im Verlauf der Zeit mehr und mehr ins Hintertreffen und wurden in den zunehmend intensiver beweideten Hutewäldern zur Rarität. Auch viele krautige, weniger weideharte Pflanzen der bodennahen Vegetationsschicht konnten dem stetigen Verbißdruck auf Dauer nur begrenzt Widerstand entgegen setzen und wurden durch robustere Gräser verdrängt.

Durch die andauernde Beweidung durch Rinder, Schweine und Ziegen, später auch noch Pferde veränderte sich keineswegs nur die Artenzusammensetzung und deren anteilige Verhältnisse. Auch strukturell zeigten sich mit der Zeit erkennbare Unterschiede gegenüber den von den nacheiszeitlichen Jägern und Sammlern noch weitgehend unbeeinflußten Primärwäldern, wie sie einst die ersten neolithischen Ackerbauern hier vorgefunden hatten. So führte der fortgesetzte Vieheintrieb im Verlauf der Jahre unweigerlich zu einer allmählichen Verlichtung der Wälder. Besonders der Unterwuchs und das Unterholz, das zusätzlich auch noch als Quelle für die Gewinnung von Brenn- und Werkholz diente, wurde bald schon spärlicher, war dieses doch für das Weidevieh mit am leichtesten erreichbar.
Zunehmend lichter wurde auch der Oberbestand, nachdem die natürliche Verjüngung des Waldes infolge der anhaltenden Überweidung an vielen Stellen auf Dauer unzureichend blieb. So vergrößerte sich nicht nur der Abstand zwischen den überbliebenen Altbäumen zusehends. Vermehrt zeigten sich auch Lücken im Kronenschirm, die mit der Zeit noch weiter anwuchsen. Hier und dort hatten unsere Vorfahren diesen Prozeß mit Axt und Brand sogar gezielt forciert, reagiert doch gerade die wuchsstarke, in Zentraleuropa vielfach dominierende und bestandsbildende Rotbuche (Fagus silvatica) höchst empfindlich selbst auf relativ harmlose Bodenfeuer. Unmittelbare Folge hiervon dürfte wohl nicht nur das Absterben einzelner Altbuchen, sondern nicht selten auch größerer Gruppen dieser Baumart gewesen sein.
Obgleich das Holz der Rotbuche als qualitativ hochwertig gilt und deren nährstoffreiche Samen – die Bucheckern – namentlich von den Hausschweinen im höchsten Maße geschätzt werden, so wurden unsere einheimischen Eichen – im Wesentlichen die Stieleiche (Quercus robur) und die Traubeneiche (Quercus petraea) – den Ansprüchen unserer Ahnen noch weit besser gerecht. Denn deren Holz zeichnet sich nicht nur durch eine ausgesprochene Witterungsbeständigkeit aus, die es im ganz besonderen Maße für eine Verwendung als Bau- und Möbelholz empfiehlt. Während die Buche nur im zeitlichen Abstand von 5–10 Jahren eine Vollmast hervorbringt, tritt dieses Phänomen bei den beiden Eichenarten im langjährigen Durchschnitt alle 4–7 Jahre auf. Auch liefern die Eichen deutlich größere Samen als die Rotbuche, so daß die Eicheln gegenüber den Bucheckern als die ergiebigere und ertragreichere Futterquelle für das Nutzvieh galten. Bildet eine ausgewachsene Buche in einem guten Mastjahr etwa 4–5 kg an Bucheckern aus, was – umgerechnet auf den Hektar – einen Ertrag von 800–900 kg bedeutet, erreichen die Traubeneiche und die Stieleiche in solchen Jahren etwa 1.500 bzw. 2.500 kg an Samenmasse. Nimmt man als weiteren Vorzug die dickere und rauhere Borke der Eichen hinzu, die sie im höheren Alter ungleich effektiver gegen das Rindenschälen vor allem der Hausrinder schützt als die verhältnismäßig dünnrindige Rotbuche, so erklärt es sich praktisch von selbst, warum Stiel- und Traubeneichen im Verlauf der Zeit zu vorherrschenden Baumarten der Hutungen wurden.

Als tragende Säule der Waldweiden unserer Breiten waren die Eichen so bedeutend, daß man zuletzt sogar gezielt junge Eichen nachpflanzte, als offenkundig wurde, daß in den vielerorts massiv überweideten Hutebeständen eine Verjüngung aus eigener Substanz nicht mehr gelang. Aufgrund des immensen Bedarfs entwickelte sich dazu regional sogar ein eigenes Gewerbe, die sog. Planteurs, die in spezialisierten Baumschulen Jungeichen für die Hutungen heranzogen. Trotz dieser Bemühungen und der zunehmend rigiden Bestimmungen, mittels derer man die Nutzung der überwiegend im Gemeineigentum stehenden Huteflächen zu regulieren versuchte, zeigten sich ausgangs des Mittelalters vielerorts unübersehbare Anzeichen der Übernutzung. Nicht wenige Hutewälder waren mit der Zeit zu lichten, eher parkartige Huteweiden geworden, die lediglich noch partiell mit Baumgruppen oder sogar nur mit Einzelbäumen bestückt waren. Im Einzelfall fällt es daher schwer, eine Hutungsfläche mit nur noch wenigen Baumgruppen oder gar einigen verstreuten Solitären noch guten Gewissens als „Wald“ zu bezeichnen, sind die Übergänge doch fließend und eine Abgrenzung problematisch.

Vor allem größere Kriegshandlungen, Hungersnöte und Seuchenzüge, die sich bis in unsere Gegenwart als unvermeidliche Begleiterscheinungen der geschichtlichen Prozesse im mittleren Europa erwiesen hatten, brachten phasenweise immer wieder Stillstände oder sogar Rückgänge der im Gesamttrend steil nach oben weisenden Kurve der Bevölkerungsentwicklung mit sich. Damit einhergehend ließ für einen Zeitraum von mehreren Jahren oder mitunter Jahrzehnten lokal oder regional auch die Nutzungsintensität der Waldweiden nach, wenn sie stellenweise nicht sogar vollständig zum Erliegen kam. Während dieser Phasen bzw. Ruhepausen hatten die Hutungen die Chance, sich zu regenieren und wieder ihrem ursprünglichen Erscheinungsbild annähern, ohne dieses allerdings in allen entscheidenden Details wieder erreichen zu können. Denn besonders die alten, nach ihrem Habitus charakteristischen Huteeichen überdauern auch längere Zeitabschnitte, während derer keine Weidenutzung der Hutungsflächen erfolgt.
Selbst heute finden sich in unseren modernen Forsten stellenweise noch immer vereinzelte alte, zumeist auffallend knorrige und tief beastete Baumveteranen, die sich als Relikte dieser historischen Form der extensiven Landnutzung zu erkennen geben.

Nach der Erholung von den vielerorts noch lange Zeit nachwirkenden Bevölkerungseinbrüchen im Gefolge des Dreißigjährigen Krieges das Nutzvieh wieder verstärkt in die Wälder getrieben. Damit begann eine neue „Hutungsperiode“. Konnte die traditionelle Hutewirtschaft bei einer moderaten Nutzungsintensität durchaus als nachhaltige, ökologisch angepaßte Form der Landnutzung gelten, so zeigte diese vor dem Hintergrund der rapiden Bevölkerungszunahme und des erhöhten Nutzungsdrucks immer mehr Formen und Züge eines ungeregelten Raubbaues. Vor allem der Bedarf an Holz jeglicher Art, ja selbst an Brennholz konnte durch die heimischen Wälder im näheren und weiteren Umkreis kaum noch gedeckt werden.
Schon in den nachfolgenden Jahrzehnten zeichnete sich daher das allmähliche Ende der Hute­wald­wirtschaft ab. Längst war die latente Holzknappheit nicht mehr nur lokal, sondern auch im überregionalen Maßstab spürbar, so daß wirksame Gegenmaßnahmen unausweichlich wurden. In immer mehr Herrschaftsgebieten zwang der bestehende Holzmangel so im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts zu einem völligen Verbot des ungeregelten Vieheintriebs in die Wälder. An die Stelle der traditionellen Hute- und Mittelwaldwirtschaft traten nun die ersten Anfänge der modernen, noch lange Zeit vorrangig auf maximale Holzproduktion fixierten Forstwirtschaft. Nicht wenige der uralten Hutewälder wurden gerodet und mit schnellwüchsigen, ertragreicheren Baumarten, insbesondere diversen Arten von Fichten, Kiefern sowie Douglasien aufgeforstet. Der sog. Flurbereinigung fielen ebenfalls zahlreiche Waldweiden zum Opfer und wurden im Zuge der aufkommenden Industrialisierung der Landwirtschaft in Ackerflächen umgewandelt. Vielerorts wurden die alten Huteflächen auch in Anspruch genommen, um die altüberlieferten, über unzählige Menschenalter fortbestehenden Allmenderechte, die nicht zuletzt auch die Nutzungsrechte an den Gemeindewaldungen einschlossen, abzulösen.
Nachdem im 19. Jahrhundert die Waldweide wegen ihrer negativen Auswirkungen auf den Wald fast überall in Mitteleuropa gesetzlich verboten wurde, finden sich hierzulande heute nur noch wenige Hutewälder.

Ein Lebensraum eigener Art

Aus dem kleinräumigen Wechsel offener und bestockter, lichter und schattiger sowie sonnendurchwärmter und feucht-kühler Bereiche resultiert eine kaum überschaubare Vielfalt unterschiedlichster, oft gegensätzlicher Standortmilieus, die sich zu einem Mosaik zusammenfügen. Weitere ökologische Wertsteigerungseffekte ergeben sich aus den zahllosen Berührungs- und Übergangszonen zwischen diesen Kleinstandorten, welche ihrerseits spezifische Saumbiotope ausbilden, die – aufgrund des bekannten Grenzlinien-Effektes – wiederum als Kernlebensraum bzw. Habitat einer Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten fungieren.

Ein gewichtiger Grund für den geringen Bekanntheitsgrad unserer heimischen Hutungen selbst bei Naturliebhabern dürfte nicht nur darin liegen, daß man lange suchen muß, um im weiteren oder näheren Umkreis noch ein halbwegs authentisches oder gar intaktes Beispiel für diesen weithin verschwundenen Biotop- und Nutzungstyp zu finden. Hinzu kommt, daß die Tierwelt dieses Lebensraums, vor allem aber dessen Leitarten relativ unscheinbar wirken und sich über­dies noch durch eher heimliche Lebensweisen auszeichnen. Kein Vergleich also zu der bunten, lärmenden Vielfalt der Vogelwelt etwa des Wattenmeers und der Bodden, die vor allem zu Zeiten der Vogelzüge zu Pilgerstätten der Ornithologen werden.

Dabei kann auch den Hutungen in ihren verschiedenen Ausprägungen eine nicht unbedeutende Anzahl von speziellen, unserer Tage meist rar gewordenen Vogelarten zugeschrieben werden. Als Exponent dieses Biotoptyps gilt hier besonders der europaweit streng geschützte Mittelspecht (Dendrocopos medius). Aber auch andere Spechtarten wie der Schwarzspecht (Dryocopus martius) werden von dem reichlichen Alt- und Totholzreservoir, das die oft Jahrhunderte alten Huteeichen bieten, magisch angelockt. In ihrem Gefolge finden sich wiederum diverse Eulenarten, die die verlassenen Spechthöhlen mitunter als Nachmieter beziehen.
Ebenso schätzen diverse Kleinsäuger das vielseitige Angebot an Höhlungen und Spalten der betagten Baumveteranen, das in diesem Maße heute längst nicht mehr jeder Waldbestand bietet. Nicht nur die scheue Wildkatze (Felis silvestris) zieht im verborgenen Inneren alter Baumriesen, ob noch stehend oder lange schon abgestorben am Boden liegend, gerne ihren Nachwuchs auf. Vor allem aber Fledermäuse, namentlich die baumbewohnenden Arten, finden hier die als Tagquartiere und Wochenstuben unverzichtbaren Unterschlupf- und Versteckmöglichkeiten, welche sie anderenorts mittlerweise vielfach vergeblich suchen.

Dennoch ist es in erster Linie die spezifische Insektenfauna, die den herausragenden ökologischen Bedeutungsgrad der Hutungen manifestiert. Als wertgebende Arten lassen sich hierbei vor allem eine Reihe von Großkäfern hervorheben, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie auch europaweit gesehen den höchsten Schutzstatus genießen. Wiederum spielt der hohe Anteil an Alt- und Totholz der alten Hutebestände eine maßgebliche Rolle dabei, dass dieser Lebensraumtyp heute zu einem bedeutenden Überlebensrefugium für den Hirschkäfer, den Eremiten, den Held- und den Körnerbock sowie den Nashornkäfer geworden ist. Nur selten allerdings bekommt man diese durchaus imposanten Insekten einmal zu Gesicht, verbringen sie doch die meiste Zeit ihres Lebens verborgen im Inneren der verrottenden Baumstämme.

Noch verborgener lebt mancher Pilz. Nicht wenige, darunter auch extrem seltene Arten finden heutzutage alleine im Holz oder im Wurzelgeflecht der mächtigen Hutebäume noch die vielfach speziellen Milieubedingungen vor, die sie für ihre Entwicklung und ihr Überdauern benötigen. Nur für wenige Tage im Jahr zeigen sich die Fruchtkörper, so daß sich ein Großteil der Pilzarten einer kontinuierlichen Beobachtung entzieht und mitunter alleine durch Zufall zu entdecken ist. Praktisch vollkommen unsichtbar bleiben dagegen andere Pilzarten, die rein unterirdisch leben, etwa die von Feinschmeckern geschätzte Sommertrüffel (Tuber aestivum) und die Burgundertrüffel (Tuber uncinatum), die – wider Erwarten – auch bei uns in Niedersachsen vorkommen.

Ausblick

Angesichts ihrer ökologischen Eigenarten und Jahrtausende alten Tradition verwundert es, dass unsere zentraleuropäischen Hutungssysteme selbst manchem Naturschützer unbekannt sind. Nicht selten bleibt diesen daher jenes Maß an Aufmerksamkeit und Wertschätzung versagt, das andere Biotoptypen mit vergleichbar einzigartiger Artenausstattung unangefochten genießen. Bei strenger Betrachtung ein Paradoxon – handelt es sich doch bei unseren gerne zitierten, vielerorts im Rückgang begriffenen Streuobstwiesen ebenfalls um ein kombiniertes Weidelandsystem, in diesem Falle aus Grünland und Obstbäumen. Ihre Bedeutung als Biotop und Lebensraum einer Vielzahl hochgradig bedrohter Arten, darunter der Steinkauz, der Wendehals oder der Gartenrotschwanz, steht jedoch außer Zweifel.

Sieht man noch genauer hin, so stößt man nicht nur im mitteleuropäischen Kulturraum auf so manches altbewährte Landnutzungssystem der räumlichen Kombination von Weide- bzw. Acker flächen mit eingestreuten Nutzgehölzen. Und nicht alle sind bereits in Vergessenheit geraten. Auch an anderen Orten dieser Welt finden sich silvo-pastorale und silvo-arale Anbausysteme, die nicht selten auch heute noch praktiziert werden und eine Vielzahl von Parallelen zu den in unseren Gefilden einst verbreiteten, historisch belegten Formen der Landnutzung aufweisen. Zumeist sind lediglich andere Arten, Rassen oder Kombinationen von Gehölzen und Nutztieren in Gebrauch, die die tragenden Säulen des jeweiligen Systems bilden.
Gerade bei den kombinierten Wald-Weide-Systemen handelt es sich im Einzelfall um durchaus geläufige, namhafte Naturlandschaften, die weit über die Fachkreise hinaus für ihren einzigartigen Artenreichtum bekannt sind. Als Mekka nicht nur für Naturfreunde und Naturfilmer gelten hier insbesondere die Dehesas der spanischen Extremadura und Andalusiens mit ihren uralten Kork- und Steineichenwäldern, unter denen schwarze iberische Hausschweine weiden. Doch auch die Almwirtschaften der Pyrenäen, der Karpaten und des Balkans, nicht zuletzt aber auch des Alpenraumes können nach ihren wesentlichen Merkmalen als montane Varianten der Waldweidesysteme des Flachlandes angesehen werden. Mit ihrer oft malerischen Kulisse zogen auch sie schon vor Jahrhunderten Landschaftsmaler, Schriftsteller und Dichter ebenso in ihren Bann wie Naturforscher und bereits erste Touristen.

In Erkenntnis ihres kulturhistorischen und ökologischen Wertes wurden und werden nun auch bei uns in Deutschland seit geraumer Zeit ehemalige Huteflächen, die sich hier und dort als Relikte in manchen Wirtschaftsforsten erhalten haben, reaktiviert bzw. gezielt wiederhergestellt. Angelehnt an historische Vorlagen werden die zumeist zu dichten Hochwäldern umgebauten Altbestände zu diesem Zwecke aufgelichtet und die alten, noch erhaltenen Hutebäume freigestellt. Auch standortuntypische und fremdländische Baumarten, die dem historischen Vorbild widersprechen, müssen in der Regel weichen. Wichtigster Steuerungs- und Gestaltungsfaktor dieser Konzeption ist jedoch die Wiederaufnahme des Vieheintriebs auf den früheren Hutungsflächen. Alleine über eine zumindest sporadische, dafür aber kontinuierliche Beweidung besteht die Chance, einem Waldstück auf lange Sicht jenes Erscheinungsbild wiederzugeben, das es vor mehreren Jahrhunderten einmal gezeigt haben mag. Der Weg dorthin ist gleichermaßen langwierig wie steinig und erfordert mancherlei Lern- und Anpassungsprozess.

Weit über unsere Region hinaus bekannt sind die Hutewälder des Reinhardswaldes, allen voran der 92,2 ha große „Urwald Sababurg“. Bereits 1907 zum ersten Naturschutzgebiet in Hessen erklärt, handelt es sich hierbei jedoch keineswegs um einen vom Menschen unberührten Urwald. Im benachbarten Solling, zum Landkreis Northeim gehörig, liegen die „Eichenhudewälder bei Lauenberg“, zusammen knapp 25 ha groß und seit neuester Zeit Teil eines FFH-Gebietes.
Und nahe vor Ort, im nördlichen Teil des Bramwaldes und unweit der Ortschaft Ellerhausen (Gemeinde Niemetal), wurde vor nicht langer Zeit am Forstort „Lange Bahn“ eine historische, noch bis 1870 genutzte Huteweide reaktiviert. Auf einer Waldfläche von 3,6 ha grasen seitdem wieder Rinder ausgesuchter Robustrassen – ein Gemeinschaftsprojekt des Forstamtes Münden und der Biologischen Schutzgemeinschaft Göttingen.

Damit die weit zurückreichende Tradition der Hutungen auch in unserer Region auf Dauer nicht in Vergessenheit gerät oder gar verloren geht, hat sich der NABU Samtgemeinde Dransfeld dazu entschlossen, vor Ort mit eigenen Projekten zur Bewahrung dieses Biotoptyps beizutragen. Anders als bei den im näheren und weiteren Umkreis verfolgten Projekten, die auf eine Wiederbelebung früherer Huteflächen setzen, wollen wir hierbei jedoch auch neue Wege beschreiten.

Ein neuer Weg: Halboffene Weidesysteme

Huteweide

Vor dem Hintergrund des nach wie vor ungebremsten Rückgangs vieler Arten unserer angestammten Flora und Fauna führt kein Weg daran vorbei, verstärkt auch über neue, innovative Konzepte nachzudenken – sowohl auf dem Feld des Naturschutzes als auch der Landnutzung.
Auch vielerlei Fehlentwicklungen im Bereich der Nahrungsmittelerzeugung, die zunehmend den Bezug zu dem von Natur vorgebenen Rahmen und ihren bäuerlichen Wurzeln verliert und uns in ihrer extremsten Form heute im massiv expandierenden System der industriellen Massentierhaltung begegnet, geben hinreichenden Anlass, möglichen Alternativen hierzu nachzugehen.

Ein vielversprechender Ansatz basiert dabei auf der Erkenntnis, dass großen Pflanzenfressern in zahlreichen Ökosystemen eine Schlüsselfunktion für den Erhalt ihrer Artenvielfalt zukommt. Dieser Umstand gilt nicht nur für das Offenland, sondern scheint auch in vielen Lebensräumen gegeben, deren Biotopcharakter im Wesentlichen von Bäumen und Sträuchern bestimmt wird. So spricht heute Vieles dafür, daß die nacheiszeitlichen Landschaften Mitteleuropas keineswegs nahezu flächendeckend mit finsteren, weithin undurchdringlichen Urwäldern bestockt waren. Anders als lange Zeit angenommen, zeigten die vom Menschen noch ungestörten Primärwälder des Holozäns vielerorts nicht nur lichtere Ausprägungen, sondern wiesen vielfach auch Lücken im Bestand auf. Vor allem in den Niederungen dürften auf weiten Strecken eher parkartige Strukturen und Blößen vorgeherrscht haben, die die dichten Wälder unterbrachen und mit zunehmender Annäherung an die Gewässer das Bild der Landschaft mehr und mehr dominierten. Das Auftreten von Lichtungen gerade an diesen Stellen war keineswegs ein Produkt des Zufalls. Als maßgebliche Gestaltungsfaktoren wirkten hier vielmehr eine Anzahl großer Pflanzenfresser – im unmittelbaren Gewässernahbereich in der erster Linie der Biber, ansonsten aber Huftiere verschiedenster Arten, die sich vor allem in den Wintermonaten in den Auen konzentrierten. Neben Unpaarhufern wie dem Waldtarpan traten hier insbesondere große Paarhufer wie der Wisent, der Auerochse, der Elch und das Rotwild hervor, in geringerem Umfang auch das Reh. Lediglich die beiden letztgenannten Wildarten sind heute in Mitteleuropa faktisch noch präsent, flächendeckend jedoch nur noch das Rehwild.
Im Verlauf der Jungsteinzeit hielten nach und nach neue Arten Einzug, die an die Stelle der nachfolgend vom Menschen zurückgedrängten – und zum Teil auch endgültig ausgerotteten – großen Wildtierarten traten. Dabei handelte es sich zum einen um faunenfremde Arten wie Schaf und Ziege, zum anderen aber auch um die domestizierten Abkömmlinge der vorgenannten Wildformen, die als Haustiere nun weitgehend die Funktion der großen Pflanzenfresser in den verschiedenen Ökosystemen übernahmen.

Die Weidetätigkeit der Großherbivoren – seien es Wild- oder seien es Haustiere – förderte, sofern die Intensität ein gewisses Maß nicht überschritt, nicht nur die strukturelle Vielfalt auf den beweideten Arealen. Sie begünstigte auch die Herausbildung unterschiedlichster Biotoptypen und ökologischer Nischen auf den Weideflächen und wirkte so vielfach als Katalysator für die Entwicklung oft sehr artenreicher Lebensgemeinschaften, unter denen sich nicht selten eine beträchtliche Anzahl hochgradig spezialisierter (und heute stark bedrohter) Arten findet.

Dieser Aspekt gab entscheidenden Anstoß für den NABU Samtgemeinde Dransfeld e.V., auf einem Großteil seiner vereinseigenen, angepachteten sowie von ihm betreuten Grundstücken verschiedenste Beweidungssysteme zu etablieren oder – wo bereits vorhanden – fortzuführen. Neben den heute gängigen Offenlandsystemen sollen dabei auch traditionelle, aber kaum noch gebräuchliche Konzepte Berücksichtigung finden, die weithin in Vergessenheit geraten sind. Hierunter fallen insbesondere die sog. „halboffenen Weidesysteme“. Im Unterschied zur Standardweide, deren Bewuchs im Wesentlichen aus Gräsern und Kräutern besteht, zeichnen sich diese durch das Vorhandensein größerer Anteile von Bäumen und/oder Sträuchern aus.

Erfahrungen insbesondere aus Großbritannien und den Niederlanden unterstreichen, dass die Schaffung halboffener Weidelandschaften eine erfolgversprechende Strategie zum langfristigen Erhalt der lokalen biologischen Vielfalt bilden kann.